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Die Optikusneuritis ist eine entzündliche Erkrankung des Sehnervs, die vor allem junge Erwachsene betrifft. Typische Anzeichen sind ein akut auftretender Visusverlust und Augenschmerzen. Nicht selten ist eine Optikusneuritis das erste Anzeichen einer Multiplen Sklerose (MS).
Optikusneuritis: Übersicht
Definition
Epidemiologie
Ursachen
Pathogenese
Symptome
Diagnostik
Therapie
Prognose
Prophylaxe
ICD-10 Code
- H46 - Neuritis nervi optici
Definition
Die Optikusneuritis (ICD-10 H46) ist eine entzündliche Erkrankung des Sehnervs, die insbesondere junge Erwachsene betrifft. Ursachen, klinische Präsentation und Therapiemaßnahmen sind heterogen. Die typische Form zeigt sich meist als einseitige autoimmune Optikusneuritis, die häufig im Rahmen einer Multiplen Sklerose (MS) auftritt.
Atypische Sehnervenentzündungen sind Folge anderer Ursachen, beispielsweise Infektionen wie Lyme-Borreliose, Autoimmunerkrankungen wie Lupus erythematodes und andere Pathologien – vor allem Neuromyelitis-optica-Spektrum-Störungen (neuromyelitis optica spectrum disorders [NMOSD]) und die Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein-Antikörper-assoziierte Erkrankung (Myelin oligodendrocyte glycoprotein antibody-associated disease [MOGAD]).
Bei einer beträchtlichen Anzahl der Fälle kann die Ursache trotz einer umfassenden Erstuntersuchung nicht gefunden werden. Eine Optikusneuritis äußert sich in der Regel durch subakut auftretende Augenschmerzen, Visusverlust, verminderter Farbwahrnehmung und einem reduzierten Sichtfeld.
Die Therapie der Optikusneuritis zielt darauf ab, die Entzündung zu reduzieren und die Sehfunktion zu erhalten. Pharmakologisch werden antientzündliche, neuroprotektive oder myelinregenerative Strategien verfolgt.
Epidemiologie
Die Optikusneuritis ist die häufigste Sehnervenerkrankung im jungen Erwachsenenalter [1]. Die Inzidenz der typischen Optikusneuritis wird in mitteleuropäischen Ländern mit etwa 5 pro 100.000/Jahr angegeben. Das Durchschnittsalter liegt bei 36 Jahren, unter 18 und über 50 Jahren ist die Erkrankung selten. Mehr als 70% der Betroffenen sind Frauen [1–3]. In der nördlichen Hemisphäre ist die Inzidenz im Frühjahr am höchsten und im frühen Winter am niedrigsten [4]. Das hängt möglicherweise mit der zu dieser Jahreszeit nachlassenden Ausschüttung des protektiv wirkenden Hormons Melatonin zusammen [5].
Für die atypische Optikusneuritis ist die epidemiologische Datenlage dünn. Bekannt ist, dass Sehnervenentzündungen im Zusammenhang mit Neuromyelitis-optica-Spektrum-Störungen häufiger bei afrokaribischen und asiatischen Menschen auftreten als bei Europäern [6]. In Deutschland macht die NMOSD 1¬–3% der Optikusneuritiden aus [7].
Ursachen
Die Ursachen einer Optikusneuritis sind vielfältig und unterscheiden sich nach der Form der Sehnervenentzündung.
Typische Optikusneuritis – MS-assoziiert oder idiopathisch
In den westlichen Ländern ist Multiple Sklerose die häufigste Ursache für eine Optikusneuritis (typische Form). Bis zu 70% der MS-PatientInnen erleiden im Krankheitsverlauf mindestens eine Sehnervenentzündung; in etwa einem Drittel der Fälle tritt diese als Erstmanifestation auf [8].
In Regionen mit hoher MS-Prävalenz wird selbst bei einem normalen Ausgangs-Magnetresonanztomogramm (MRT) des Gehirns bei 25% der PatientInnen mit Optikusneuritis nach einer Nachbeobachtungszeit von 15 Jahren eine MS diagnostiziert. Wenn die MRT-Basisuntersuchung eine oder mehrere MS-typische enzephalische Läsionen zeigt, erhöht sich die kumulative Wahrscheinlichkeit auf 72%, selbst bei Verwendung unempfindlicher Diagnosekriterien [9].
Die zweite typische Sehnervenentzündung ist die idiopathische Optikusneuritis, bei der trotz gründlicher Evaluation keine Ursache gefunden werden kann. Dies sollte allerdings nur eine vorläufige Diagnose sein [8].
Atypische Optikusneuritis – autoimmunbedingt und infektionsassoziiert
Atypische Optikusneurititiden treten auf [10,11]:
- als Manifestation einer Autoimmunerkrankung, zum Beispiel bei
o Neuromyelitis-optica-Spektrum-Störungen (NMOSD)
o Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein-Antikörper-assoziierter Erkrankung (MOGAD)
o Chronisch rezidivierender Immunoptikusneuropathie (Chronic relapsing inflammatory optic neuropathy [CRION])
o Sarkoidose
o Systemischem Lupus erythematodes (SLE) - infektiös/parainfektiös, unter anderem bei
o Lyme-Borreliose
o Syphilis
o Neuroretinitis
o Akuter disseminierter Enzephalomyelitis (ADEM)
o Meningitis
o Tuberkulose
o Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV)
o lokaler Ausbreitung einer Sinusitis, Retinitis und Uveitis - postinfektiös bzw. postvakzinal
Daneben gibt es noch seltene Ursachen. Dazu gehören [8,10]:
- Diabetes
- perniziöse Anämie
- Arteriitis temporalis
- Insektenstiche
- Traumata
- Tumormetastasen im Sehnerv
- Strahlentherapie im Schädelbasisbereich
- Noxen wie Blei, Thallium, Methanol, Nikotin und Arsen
- Arzneimittel, insbesondere Ethambutol und Tamoxifen
Risikofaktoren
Risikofaktoren, die mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Optikusneuritis in Verbindung gebracht werden, sind:
- Geschlecht: Optikusneuritis tritt häufiger bei Frauen als bei Männern auf [1–3].
- Alter: Junge Erwachsene sind häufiger von einer Optikusneuritis betroffen. [1–3]
- Rauchen [11]
- Bestimmte Infektionen: Eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus [12] oder Mycoplasma pneumoniae wurden mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten von Optikusneuritis in Verbindung gebracht [13].
- Autoimmunerkrankungen: Optikusneuritis ist oft mit Autoimmunerkrankungen assoziiert [14].
- Familienanamnese: Eine positive Familienanamnese von Optikusneuritis oder Multipler Sklerose kann das Risiko für das Auftreten von Optikusneuritis erhöhen [15].
- bestimmte HLA-Polymorphismen: Eine Studie, bei der die HLA-Genotypen von 62 PatientInnen mit akuter Optikusneuritis untersucht wurden, stellte einen Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein bestimmter HLA-DRB1-Allele und dem Auftreten von Optikusneuritis fest. Insbesondere das HLA-DRB1*15:01-Allel wurde als Risikofaktor für die Entstehung einer Optikusneuritis identifiziert [12].
Pathogenese
Insgesamt hängt die Pathogenese davon ab, ob es sich um eine typische oder atypische Optikusneuritis handelt.
Typische Optikusneuritis – T- und B-Zell-vermittelte Immunreaktionen
Bei der typischen Optikusneuritis (idiopathisch oder im Rahmen einer MS) kommt es zu einer T-Zell-vermittelten Immunreaktion gegen Myelinproteine, die den Sehnerv umgeben (speziell das Myelin-Grundprotein [MBP]) und das Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein [MOG]). Die aktivierten T-Zellen produzieren proinflammatorische Zytokine (zum Beispiel Interferon-gamma, TNF-alpha), die eine lokale Entzündungsreaktion verursachen und die Myelinscheide und Axone des Sehnervs schädigen.
Aktivierte Mikrogliazellen unterhalten das Entzündungsgeschehen weiter. Zusätzlich werden B-Zell-vermittelte Autoantikörper gegen Myelinproteine produziert, die ihrerseits die Myelinscheide und Axone zerstören. Das Zusammenspiel dieser Faktoren resultiert in einer Sehstörung [16–20].
Nach wenigen Wochen lässt die Entzündungsaktivität spontan nach und die Sehfunktion bessert sich. Oft ist der pathologische Prozess aber nicht vollständig reversibel, sodass trotz weitgehend wiederhergestellter Tagessehschärfe eine verzögerte Leitgeschwindigkeit und partielle Optikusatrophie persistieren. Die mit der optischen Kohärenztomografie (OCT) messbare Verdünnung der retinalen Nervenfaserschicht (retinal nerve fiber layer [RNFL]) beträgt im Durchschnitt 20% [16,21].
Atypische Optikusneuritis
Bei einer atypischen Optikusneuritis hängen die pathogenetischen Mechanismen von der Art der zugrunde liegenden Erkrankung bzw. Ursache ab. Die nachfolgenden Erklärungen sind beispielhaft und geben keinen vollständigen Überblick aller Pathomechanismen.
Pathogenese bei Neuromyelitis-optica-Spektrum-Störungen und Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein-Antikörper-assoziierte Erkrankung
Bei MOGAD und insbesondere bei der NMOSD spielen AQP4-Antikörper eine wichtige Rolle bei der Pathogenese der Optikusneuritis. Diese Antikörper sind gegen das Aquaporin-4-Protein gerichtet, das in hoher Konzentration in den Astrozyten des zentralen Nervensystems (ZNS), einschließlich des Sehnervs, exprimiert wird.
Dies führt zu einer Entzündungsreaktion. Durch die Aktivierung von Immunzellen und proinflammatorischen Zytokinen werden die Myelinscheide und Axone des Sehnervs geschädigt, was Sehstörungen verursacht.
Bei der Optikusneuritis im Rahmen der MOGAD sind neben AQP4-Antikörper T-Zell-vermittelte Mechanismen, die sich gegen das Myelin oder die Axone des Sehnervs richten, entscheidend.
Optikusneuritis in Zusammenhang mit Infektionen
Bei Infektionen wird die Optikusneuritis vor allem durch eine T-Zell-vermittelte Immunreaktion gegen den Erreger ausgelöst, was wiederum zu einer Schädigung der Myelinscheide und Axone des Sehnervs führt.
Optikusneuritis in Zusammenhang mit Toxinen
Toxine können auf verschiedene Arten eine atypische Optikusneuritis verursachen. Ein Beispiel ist Methanol. Methanol wird in der Leber zu Formaldehyd und Ameisensäure abgebaut, die toxische Wirkungen auf den Sehnerv haben können. Formaldehyd kann direkt die Nervenfasern schädigen, während Ameisensäure eine Entzündungsreaktion auslösen kann.
Optikusneuritis in Zusammenhang mit vaskulären Störungen
Am Beispiel der Arteriitis temporalis können die den Sehnerv versorgenden Arterien entzündungsbedingt verengt sein, was eine Ischämie des Sehnervs und eine Schädigung der Nervenfasern zur Folge hat.
Optikusneuritis in Zusammenhang mit perniziöser Anämie
Perniziöse Anämie ist eine Autoimmunerkrankung, die durch einen Mangel an Vitamin B12 verursacht wird. Vitamin B12 ist für die Bildung und Aufrechterhaltung der Myelinscheide des Sehnervs essenziell.
Ein Mangel an Vitamin B12 kann das Wachstum und die Differenzierung von Oligodendrozyten beeinträchtigen, wodurch sich die Myelinisierung des Sehnervs verzögert oder unvollständig bleibt. Zusätzlich können die Axone geschädigt werden, sodass Nervenimpulse langsamer oder gar nicht mehr weitergeleitet werden.
Weitere Mechanismen, die zur Pathogenese der Optikusneuritis bei perniziöser Anämie beitragen können, sind eine gestörte Zellteilung und -reifung, eine verminderte DNA-Synthese und -reparatur sowie eine verminderte Produktion von Neurotransmittern (speziell Glutamat, GABA und Dopamin).
Differenzierung der Optikusneuritis
Abhängig von der Lokalisation der Entzündung erfolgt die Differenzierung in
- intrabulbäre Entzündungen des Optikuskopfes (Papillitis, Intrabulbärneuritis) und
- Retrobulbärneuritis.
Symptome
Eine typische Optikusneuritis ist mit einer subakuten unilateralen Sehstörung und schmerzenden Augenbewegungen assoziiert. Der Patient sieht die Umgebung dunkler, unscharf und kontrastarm. Die Sicht wird oft als verschwommen oder „Sehen wie durch einen Schleier“ beschrieben [8,22].
Das Gesichtsfeld ist in der Hälfte der Fälle diffus beeinträchtigt, charakteristisch sind zentrale oder parazentrale Schatten. Selten berichten die Betroffenen auch über:
- das Fehlen von bestimmten Bereichen des Sichtfelds (Hemianopsie)
- die Unfähigkeit, vertikale Linien zu sehen (Höhenagnosie)
- das Unvermögen, visuelle Muster in bestimmten Formen wahrzunehmen (Bogen-, Nasen-, Quanten- und Quantanopsie)
- einen vollständigen Sehverlust (Amaurose)
Einige dieser Phänomene können auf eine spätere Beteiligung der Sehnervenbahnen zurückzuführen sein [8,16].
Darüber hinaus werden Farben weniger intensiv wahrgenommen, wirken schmutzig und blass. Mehrere Arten von Dyschromatopsien wurden beschrieben, zum Beispiel Rot-Grün- und Blau-Gelb-Defizite. Blau-gelbe Defizite sind in der akuten Phase häufiger und rot-grüne Defizite nach sechs Monaten [8].
Die Sehverschlechterung entwickelt sich innerhalb von Stunden bis Tagen. Sie erreicht innerhalb von ein bis zwei Wochen einen Tiefpunkt und bessert sich danach wieder [1,8,22]. Die Genesung setzt nach einigen Wochen ein und kann sich langsam über ein Jahr hinziehen [16].
Die überwiegende Mehrzahl der Betroffenen gibt Schmerzen bei der Augenbewegung an. Mitunter werden auch nur Missempfindungen wahrgenommen. Die Beschwerden können der Sehminderung vorausgehen und verschwinden meist innerhalb einer Woche. Der Augenbewegungsschmerz ist nicht vorhanden, wenn der Entzündungsherd außerhalb des beweglichen Anteils des Sehnervs (also überwiegend intrakraniell) liegt [1].
Etwa 30% der Menschen mit einer Optikusneuritis nehmen positive visuelle Phänomene (sogenannte Phosphene) wahr. Diese treten besonders bei Augenbewegungen auf – werden jedoch oft nur bei gezieltem Nachfragen oder bei einer Nachuntersuchung vom Patienten angegeben.
Eine Optikusneuritis ist mit zwei Phänomen assoziiert: dem Pulfrich-Phänomen und dem Uhthoff-Phänomen [8,16,22].
- Beim Pulfrich-Phänomen wird das Hin- und Herpendeln eines Gegenstands parallel zur Gesichtsebene als elliptische oder schraubenförmige Bewegung erlebt. Das Auge mit der verzögerten Reaktion nimmt das Objekt anders wahr als das gesunde Auge, was zu einer falschen räumlichen Wahrnehmung führt. Da diese Illusion auch beim Gesunden auftritt, wenn man ein Auge mit einem Graufilter (beispielsweise eine getönte Brille) bedeckt, wird es als unspezifisches Diagnose-Zeichen gewertet.
- Beim Uhthoff-Phänomen verschlechtert sich das Sehvermögen am betroffenen Auge, wenn sich die Körpertemperatur erhöht, etwa durch sportliche Aktivitäten oder Saunagänge. Es kommt vornehmlich in der Abklingphase der Optikusneuritis oder bei chronischem Verlauf vor [23]. Hierbei handelt es sich um ein spezifisches Diagnose-Zeichen, das bei der Hälfte der Betroffenen auftritt [24].
Abweichende Beschwerden der beschriebenen Klinik können auf eine atypische Form hinweisen.
Besonderheiten bei der atypischen Optikusneuritis
Postinfektiöse oder postvakzinale Sehnervenentzündungen treten vor allem bei Kindern auf. Das gilt auch für eine Optikusneuritis im Rahmen einer akuten disseminierten Enzephalomyelitis (ADEM). Im Gegensatz zur typischen Form sind häufiger beide Augen betroffen. Gleiches gilt für die Neuromyelitis-optica-Spektrum-Störungen (NMOSD).
Im Gegensatz zur typischen Form verschwinden atypische Optikusneuritiden oft nicht spontan und können nach Absetzen von Glukokortikoiden erneut auftreten, insbesondere bei der NMOSD und der chronisch rezidivierenden Immunoptikusneuropathie (CRION).
Auch andere, nicht entzündliche Optikusneuropathien zeigen meist eine von der typischen Optikusneuritis abweichende Klinik. Die Lebersche hereditäre Optikusneuropathie (LHON) beispielsweise bessert sich nicht im Verlauf und nicht nach einer Glukokortikoid-Therapie. Ähnlich irreversibel ist der Schaden bei der Strahlenoptikusneuropathie, einer Spätkomplikation bei höher dosierter Strahlentherapie im Schädelbasisbereich.
Diagnostik
Bei Verdacht auf eine Optikusneuritis folgen eine klinische Anamnese und die neuro-ophthalmologische Untersuchung. Diese geben erste Anhaltspunkte. Zur Unterscheidung zwischen den verschiedenen Ursachen der Optikusneuritis sind vielschichtigere Untersuchungen nötig.
Dazu gehören eine Gesichtsfeldperimetrie sowie die multimodale Bildgebung des Sehnervs, einschließlich Fundusfotografie, optischer Kohärenztomographie (OCT) und Magnetresonanztomografie (MRT). Im Zusammenschluss der Methoden hat sich die Diagnose und Nachsorge von PatientInnen mit Optikusneuropathien erheblich verbessert [25].
Weitere paraklinische Tests, die Bildgebung des Gehirns, der Augenhöhle und der Netzhaut, Liquoranalysen sowie Antikörper- und andere Protein-Biomarkerdaten können die Diagnosefindung und Abgrenzung zu Differenzialdiagnosen ergänzen.
Die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) und der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands (BVA) haben in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) eine Leitlinie zur Optikusneuritis erarbeitet. Daran sind die folgenden Diagnoseempfehlungen angelehnt [16].
Anamnese
Bei Verdacht auf Optikusneuritis sind folgende Punkte zu erfragen bzw. zu verifizieren:
- Kardinalsymptome (subakute unilaterale Sehstörung und Augenbewegungsschmerz)
- mögliche Assoziation mit Multipler Sklerose
o Erstauftreten oder Wiederholungsbeschwerden
o neurologische Erkrankungen/Symptome (aktuell/früher), zum Beispiel Dys- und Parästhesien, Paresen - Hinweise auf andere Optikusneuropathien/Ursachen, unter anderem:
o schwere Augenerkrankungen in der Familie
o Tumorerkrankungen
o rheumatologische Beschwerden (Fieber? Exanthem? Arthralgien?)
o sonstige internistische Erkrankungen/Symptome (pulmonal, nephrologisch, kardiovaskulär)
o Einnahme potenziell sehnerventoxischer Arzneimittel (beispielsweise Tuberkulostatika wie Ethambutol, Isoniazid und Linezolid)
o Nikotin-, Alkohol- oder Drogenabusus - Weitere Allgemeinanamnese, insbesondere mit Hinblick auf etwaige Kontraindikationen gegen eine Glukokortikoid- oder sonstige immunsuppressive Therapie, speziell:
o Infektionen
o Diabetes mellitus
o psychiatrische Erkrankungen
o bei Frauen: Schwangerschaft
Ophthalmologische Erstuntersuchung
Bei Verdacht auf Optikusneuritis soll die augenärztliche Erstuntersuchung folgende Maßnahmen umfassen:
- Sehschärfenprüfung mit bestmöglicher Korrektur
- Prüfung auf relativen afferenten Pupillendefekt (RAPD)
- Perimetrie
- Prüfung auf Augenbewegungsschmerz
- Spaltlampenuntersuchung der vorderen und mittleren Augenabschnitte
- Fundoskopie
- bei bestätigter Diagnose Kommunikation mit dem Neurologen, Hausarzt und ggf. weiteren Fachärzten bezüglich Diagnostik und Therapie zugrundeliegender Systemerkrankungen (insbesondere MS)
- Dokumentation
- Befundbesprechung und Beratung
Die Kombination aus einseitiger subakuter Sehstörung in Verbindung mit Augenbewegungsschmerz soll den Verdacht auf eine typische Optikusneuritis wecken. Der Verdacht besteht besonders bei jungen Erwachsenen (speziell bei jungen Frauen).
Gegen eine typische Optikusneuritis sprechen:
- Alter unter 18 oder über 50 Jahre
- kein Augenbewegungsschmerz
- simultan beidseitiges Auftreten
- Sehnervenpapille mit starker Schwellung, Randblutungen, harten Exsudaten, cotton wool spots oder initialer Atrophie
- keine Besserungstendenz innerhalb von vier Wochen
- frühes Rezidiv am selben oder am Partnerauge
In diesen Fällen ist an eine atypische Optikusneuritis und andere Optikusneuropathien zu denken.
Ergänzende ophthalmologische Untersuchungen
Die Untersuchung weiterer Parameter kann bei bestimmten Befundkonstellationen oder Fragestellungen die Diagnostik sinnvoll ergänzen. Dazu gehören:
- Niedrigkontrast-Sehschärfe zur erweiterten Verlaufsdiagnostik oder bei nur diskreten Befunden
- Kontrastsehen
- Farbsinn (vor allem bei nur geringer Visusminderung und nicht eindeutigem RAPD), insbesondere Prüfung auf relative Farbentsättigung des betroffenen Auges im Vergleich mit dem Partnerauge
- visuell evozierte Potenziale (VEP), besonders bei unsicherer Diagnose oder nur diskreten Symptomen (hinweisgebend ist eine verlängerte P100-Latenz)
- OCT der retinalen Nervenfaser- und Ganglienzellschicht
- Untersuchung des gesamten Augenhintergrunds in Mydriasis, etwa zum Erkennen einer koexistenten intermediären Uveitis
- altersentsprechende Basisdiagnostik:
o bei durch den Leitbefund nicht zu erklärender Visusminderung oder
o bei PatientInnen, die sich erstmals oder nach über einem Jahr seit der letzten augenärztlichen Basisdiagnostik vorstellen - weitere Untersuchungen nach DOG-BVA-Leitlinie Nr. 5 (Abklärung unklarer Sehstörungen) oder DOG-BVA-Leitlinie Nr. 29 (bei unklarer Abgrenzung zur AION)
Magnetresonanztomografie
Um eine vorliegende MS bei typischer Optikusneuritis und andere Ursachen bei den atypischen Formen zu identifizieren, folgt eine kranielle Magnetresonanztomografie (cMRT). Von einer Computertomografie (CT) des Schädels (cCT) anstelle einer cMRT rät die Leitlinie ab.
Die cMRT sollte vorzugsweise mit Kontrastmittel durchgeführt werden. Um eine Optikusneuritis darzustellen und differenzialdiagnostisch raumfordernde oder granulomatöse Erkrankungen auszuschließen, empfiehlt es sich weiterhin, den Sehnerv und das umgebende Gewebe mittels Kernspintomografie zu untersuchen. Die MRT der Orbita sollte vorzugsweise als MRT-Dünnschichtdarstellung unter Verwendung von Fettsuppression und Kontrastmittel erfolgen.
Laboruntersuchungen von Liquor und Blut
Bei Erstmanifestation einer Optikusneuritis wird in der Regel eine Liquordiagnostik zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung durchgeführt. Die Liquordiagnostik umfasst:
- eine zytologische Analyse
- Albumin- sowie IgG-, IgA- und IgM-Bestimmungen nach dem Quotienten-Schema (Reiber-Felgenhauer-Diagramm)
- eine isoelektrische Fokussierung zum Nachweis oligoklonaler IgG-Banden
- die Bestimmung von Antikörpern gegen neurotrope Viren (Masern, Röteln und Zoster)
Für die Diagnosestellung von Multipler Sklerose ist eine Liquordiagnostik nicht zwingend erforderlich, zur besseren Differenzierung aber hilfreich. Zum Beispiel weist die Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung (NMOSD) im Liquor etwas andere Befunde auf als eine MS (häufiger lymphomononukleäre Pleozytose, dafür seltener oligoklonale Banden).
Bei atypischer Präsentation der Optikusneuritis und unbekannter Grunderkrankung dienen zur weiteren Abklärung folgende Laborwerte:
- Blutbild: Hinweise auf eine Infektion?
- C-reaktives Protein (CRP): systemische Entzündung?
- Anti-nukleäre Antikörper (ANA): Systemischer Lupus erythematodes (SLE)?
- Anti-neutrophile zytoplasmatische Antikörper (ANCA): Granulomatose mit Polyangiitis (GPA)?
- Aquaporin-4-Antikörper (AQP4-AK): NMOSD
- Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein (MOG-Antikörper): MOGAD, pädiatrische MS oder akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM)?
- Antikörper gegen Collapsin Response Mediator Protein 5 (CRMP5-Antikörper): paraneoplastische Erkrankung wie kleinzelliges Lungenkarzinom und Thymom?
- Molekulargenetische Diagnostik auf LHON: bekannte Mutationen?
- Serologie auf
o Bartonella
o Borrelia
o Lues
o Mykoplasma
Bei erstmaliger atypischer Optikusneuritis und unklarer Genese ist eine diagnostische Liquorpunktion indiziert.
Weitere Untersuchungen
Bei Verdacht auf atypische Sehnervenentzündung sollten Untersuchungen auf granulomatöse Erkrankungen veranlasst werden, speziell eine Thorax-Bildgebung und Labordiagnostik (zum Beispiel Quantiferon-Test bei Tuberkulose oder angiotensin converting enzyme [ACE] und löslicher Interleutkin-2 [IL2]-Rezeptor bei Sarkoidose). Ergeben sich spezifische Verdachtsmomente auf Sarkoidose oder Tuberkulose, empfiehlt sich eine internistische und neurologische Mitbehandlung.
Bei Verdacht auf eine unklare zugrundeliegende Systemerkrankung kann eine Positronen-Emissions-Tomografie (PET) veranlasst werden.
Differenzialdiagnose
Wenn die Leitsymptome Augenbewegungsschmerz, subakuter unilateraler Visusverlust und spontane Besserung zutreffen, kommt eine andere Diagnose als die der typischen Optikusneuritis kaum infrage. Anders bei unspezifischer Symptomatik – hier sind beispielsweise folgende Differenzialdiagnosen möglich:
- Tumor der vorderen Sehbahn
- Anteriore ischämische Optikusneuropathie (AION)
- Lebersche hereditäre Optikusneuropathie (LHON)
- Zentralvenenthrombose
- Hypertensive Retinopathie
- Juxtapapilläre Chorioretinitis
- Arteriitis temporalis
Eine verminderte Sehschärfe kann grundsätzlich einen entzündlichen, vaskulären, infektiösen, neurodegenerativen, toxischen oder defizitären Ursprung haben.
Therapie
Die Behandlung einer Optikusneuritis erfolgt idealerweise interdisziplinär (Augenarzt, Neurologe, Neuroradiologe; ggf. Hausarzt, Internist und Pädiater). Pharmakologisch werden antientzündliche, antiapoptotische (neuroprotektive) oder myelinregenerative Strategien verfolgt. Zum Einsatz kommen Akuttherapeutika sowie Arzneimittel zur langfristigen Rezidivprophylaxe. Die nachfolgenden Empfehlungen entsprechen denen der DOG-BVA-Leitlinie [16].
Therapie der typischen Optikusneuritis
Glukokortikoide
Seit der Veröffentlichung der Ergebnisse des Optic Neuritis Treatment Trial (ONTT), einer randomisierten, placebokontrollierten, multizentrischen, dreiarmigen Studie mit 457 PatientInnen mit typischer Optikusneuritis, ist allgemein anerkannt, dass Kortikosteroide die Langzeitprognose einer Optikusneuritis nicht verbessern [2]. Ein kurzfristiger Nutzen scheint jedoch gegeben.
Die Steroidgabe sollte bei typischer Optikusneuritis nur kurzfristig und sehr hoch dosiert erfolgen. Die Indikation für eine Glukokortikoid-Therapie oberhalb von Kummulativdosen >8,5 g sowie bei Einzeldosen >0,5 g ist wegen einer möglichen Hepatotoxizität sehr sorgfältig zu prüfen – insbesondere bei PatientInnen über 50 Jahre.
Laut Leitlinie kann bei typischer Optikusneuritis unter Abwägung von Nebenwirkungen und Risiken eine kurze, hochdosierte Glukokortikoid-Gabe als Akuttherapie angeboten werden, gerade bei schwerer Ausprägung und/oder starker symptominduzierter Beeinträchtigung der Betroffenen.
Bei Komorbiditäten, die durch Glukokortikosteroide verschlimmert werden können wie gastrointestinale Ulzera, Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Diabetes mellitus oder Psychosen, sowie in der Schwangerschaft ist die Indikation zur Steroidtherapie besonders kritisch zu stellen: Eher sei von einer Glukokortikoid-Therapie abzuraten, so das Leitlinien-Team.
Dosierungsempfehlungen:
Bei typischer Optikusneuritis wird die Glukokortikoid-Therapie in folgender Dosierung und Applikationsweise empfohlen: bei Erwachsenen täglich 500−1.000 mg Methylprednisolon als Infusion (die erste Gabe möglichst stationär) oder oral über 3−5 Tage. Daran kann sich eine orale Ausschleichphase (beginnend mit 1 mg/kg Körpergewicht) für 10−14 Tage anschließen.
Die jeweilige Tagesdosis wird entweder über den Tag auf mehrere Gaben verteilt (zum Beispiel vier Einzeldosen, wie im ONTT) oder in einer Gabe (üblicherweise morgens) verabreicht.
Als Begleitmedikation ist speziell bei anamnestisch bekannten Gastrointestinalbeschwerden ein Magensäureschutz, üblicherweise mit Protonenpumpeninhibitoren, indiziert. Eine begleitende Osteoporoseprophylaxe muss wegen der kurzen Behandlungsdauer nicht zwingend erfolgen.
Vor und während einer Glukokortikoid-Behandlung sollten die Blutzucker- und Elektrolytkonzentrationen sowie die Nieren- und Leberwerte laborchemisch kontrolliert werden.
Plasmapherese und Immunadsorption
Eine frühzeitige Behandlung mit einer Plasmapherese oder einer Immunadsorption könnte die Heilungschancen nach einer schweren Optikusneuritis-Episode möglicherweise erhöhen. Die Datenlage zur Akutbehandlung ist jedoch unzureichend, sodass die Leitlinie keine Therapieempfehlung bei Betroffenen mit Optikusneuritis ausspricht. Plasmapherese oder Immunadsorption sind allerdings Möglichkeiten der Therapie-Eskalation.
Potenziell remyelisierende Arzneimittel
Daneben gibt es Untersuchungen zu verschiedenen potenziell remyelinisierenden und/oder neuroprotektiven Arzneimitteln. Obwohl einige von ihnen eine Wirkung auf paraklinische Parameter gezeigt haben, konnte bisher keines eine verbesserte Sehprognose erzielen.
- Der humane monoklonale LINGO-1-Antikörper (Anti-Lingo-1) Opicinumab hat in einer klinischen Phase-II-Studie eine Verringerung der mittels multifokalem VEP gemessenen Leitungslatenzen gezeigt [26,27]. LINGO 1 steht für leucine-rich repeat and immunoglobuline domain containing-1. Dabei handelt es sich um ein ZNS-typisches Zellmembranprotein, das die Differenzierung von Oligodendrozyten und somit die Myelinisierung von Axonen hemmt. Opicinumab bindet das Protein und blockiert dessen Funktion, wodurch die Myelinproduktion und Remyelinisierung gefördert werden soll. Damit handelt es sich um einen reparativen Therapieansatz.
- Das nicht-selektive Antihistaminikum Clemastin reduzierte in einer randomisierten placebokontrollierten Studie die mittels Ganzfeld-VEP gemessenen Leitungslatenzen, was auf eine Verbesserung der Remyelinisierung hindeutet [28].
Aufgrund der noch geringen Erfahrungen gibt die Leitlinie momentan noch keine eindeutigen Empfehlungen für diese Therapien.
Potenziell neuroprotektive Arzneimittel
Phenytoin, das aufgrund seiner Wirkung auf Natriumkanäle als neuroprotektiv gilt, zeigte in einer klinischen Studie Vorteile bezüglich der peripapillären retinalen Nervenfaserschicht (RNFL). Diese war in der Placebo-Gruppe nach sechs Monaten um 24% atrophiert, in der Phenytoin-Gruppe nur um 17%.
Die RNFL-Reduktion war jedoch mit Nebenwirkungen assoziiert. In der Verumgruppe erlitten 12% der Teilnehmenden serious adverse events (SAEs), in der Placebogruppe nur 5%. Allerdings ist fraglich, ob alle SAEs (darunter zwei Blinddarmentzündungen und ein Fall von Brustkrebs) auf Phenytoin zurückzuführen sind. Bei den funktionellen Parametern wie der Sehschärfe erbrachte Phenytoin keine Vorteile. [29].
Ein weiterer Wirkstoff, der möglicherweise neuroprotektiv wirkt, ist der Cholesterinsenker Simvastatin. In einer randomisierten placebokontrollierten Studie wiesen die verumbehandelten Teilnehmenden bessere Ergebnisse in den Parametern Sehschärfe, Kontrastsehen und VEP auf [30].
Memantin wird wegen seiner hemmenden Wirkung auf Glutamat-Rezeptoren eine anti-exzitotoxische Potenz zugeschrieben. Damit avanciert das in der Alzheimer-Therapie angewandte Arzneimittel ebenfalls zu einem neuroprotektiven Wirkstoffkandidaten.
In einer randomisierten offenen Studie hatten mit Memantin behandelte PatientInnen signifikant bessere Werte bezüglich der RNFL-Dicke; in allen anderen, funktionellen Parametern (Visus, Gesichtsfeld, VEP, Kontrastsehen) ergaben sich keine signifikanten Unterschiede [31].
Auch das körpereigene Hormon Erythropoetin (EPO) scheint über mehrere zelluläre Mechanismen neuroprotektiv zu wirken. Dem Phase-II-RCT namens VISION-PROTECT zufolge gibt es positive Auswirkungen auf die Abnahme der RNFL und Sehnervendicke sowie bei den VEP- Latenzen. Ferner zeigten weitere klinisch-funktionelle Zielparameter Trends zu besserem Outcome.
Für alle aufgeführten Therapien könne aufgrund der derzeit noch unzureichenden Erfahrungen keine eindeutige Empfehlung ausgesprochen werden, so das Leitlinienteam.
Therapie der atypischen Optikusneuritis
Bei autoimmuner atypischer Optikusneuritis soll eine Steroidtherapie erfolgen, sofern keine absoluten Kontraindikationen dagegensprechen. Diese sollte (zumindest beim ersten Behandlungsversuch) als hochdosierte (500–1.000 mg/d) intravenöse Methylprednisolon-Gabe über 3−5 Tage beginnen. Darauf folgt eine orale Ausschleichphase, die meist länger ist als bei der typischen Optikusneuritis.
Bei para- oder postinfektiöser atypischer Optikusneuritis (zum Beispiel bei Neuroretinitis) sollte die Steroidbehandlung in den ersten Tagen von einer antibiotischen, insbesondere gegen Bartonellen wirksamen Therapie begleitet werden.
Eskalation der Therapie
Tritt nach zwei bis vier Wochen keinerlei Besserung ein, kann die hochdosierte Glukokortikoid-Gabe sowohl bei typischer als auch atypischer Optikusneuritis wiederholt werden. Die Indikation zur Gabe einer kumulativen Gesamtdosis von mehr als 8,5 g im Behandlungszeitraum sowie zur Gabe von Einzeldosen über 0,5 g ist wegen einer eventuellen Hepatotoxizität kritisch zu stellen – speziell bei PatientInnen ab dem 50. Lebensjahr.
Bessern sich die Symptome selbst nach der hochdosierten Steroidtherapie nicht, kann als Eskalation eine Plasmapherese oder Immunadsorption veranlasst werden (möglichst innerhalb von sechs Wochen nach Erkrankungsbeginn).
Sprechen Betroffene mit atypischer Optikusneuritis auf die Plasmapherese an, ist bei zukünftigen Rezidiven eine Plasmapherese oder Immunadsorption als Primärbehandlung denkbar. Bei SLE-bedingter Optikusneuritis kann alternativ eine Cyclophosphamid-Therapie veranlasst werden.
Rezidivprophylaxe, Basistherapie
Bei einer zu Rezidiven neigenden typischen Optikusneuritis gilt es, das Risiko von erneuten Rückfällen mit einer prophylaktischen Langzeittherapie zu minimieren. Bei einer zugrundeliegenden Erkrankung wie MS oder Sarkoidose, wird die Systemerkrankung mit einer Basistherapie entsprechend der verfügbaren Leitlinienempfehlungen und in Zusammenarbeit mit einer neurologischen Praxis behandelt.
Bei atypischer Optikusneuritis mit hoher Rezidivneigung ist eine langfristige Glukokortikoid- oder alternative immunsuppressive Therapie in Kooperation mit einem Neurologen oder Rheumatologen indiziert. Die Wirkstoffdosis bei Rezidiven oder zur Dauertherapie richtet sich nach der jeweiligen Grundpathologie und dem individuellen Erkrankungsverlauf. Dabei können auch niedrigere orale Glukokortikoid-Dosen ausreichend und sinnvoll sein, zum Beispiel bei der chronic relapsing inflammatory optic neuropathy (CRION).
Prognose
Die Aussichten für Betroffene mit einer typischen Optikusneuritis sind im Hinblick auf das Sehvermögen gut. Zehn Jahre nach der Erkrankung haben 74% der PatientInnen eine Sehschärfe von 1,0 oder besser; bei 18% von ihnen liegt sie zwischen 0,5–0,8, bei 5% zwischen 0,1–0,4 und bei 3% unter 0,1 [32]. Eine vollständige Restitution wird allerdings kaum erreicht. In nahezu jedem Fall bleibt eine Schwäche beim Farb- und Kontrastempfinden sowie ein gewisser Nervenfaserverlust dauerhaft bestehen.
Die Rezidivrate (am selben oder am Partnerauge) innerhalb von zehn Jahren liegt bei durchschnittlich 35% (bei Patienten mit einer sich entwickelnden MS bei 48%, bei Patienten ohne MS-Entwicklung bei 24%) [16].
Die Wahrscheinlichkeit nach einer Optikusneuritis als Erstereignis eine klinisch manifeste MS zu entwickeln, hängt vom MRT-Ausgangsbefund und der Anzahl der Jahre nach der initialen Optikusneuritis ab [33]:
Anzahl der Läsionen im MRT | Risiko nach 5 Jahren | Risiko nach 10 Jahren | Risiko nach 15 Jahren |
0 | 15% | 20% | 25% |
1-2 | 35% | 45% | 65% |
≥3 | 50% | 70% | 75% |
Die Sehschärfe von Personen mit atypischer Optikusneuritis – insbesondere diejenigen, die seropositiv für Antikörper gegen Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein, AQP4 und CRMP5 sind oder eine NMOSD haben – erholt sich meist weniger gut und die Atrophie des Sehnervs fällt schwerer aus als bei Menschen mit einer Sehnervenentzündung im Rahmen einer typischen idiopathischen oder Multiple-Sklerose-assoziierten Optikusneuritis [25]. Bei einer NMOSD beispielsweise weisen 50% der Augen nach zehn Jahren einen Visus von 0,1 oder schlechter auf, bei einer MS sind es nur 3% [34,35].
Insgesamt können verbleibende Defizite bei der Kontrastempfindlichkeit, dem beidäugigen Sehen und der Bewegungswahrnehmung die sehspezifischen Lebensqualitätsmerkmale beeinträchtigen [25].
Prophylaxe
Aufgrund der Vielzahl der Ursachen für eine Optikusneuritis ist eine spezifische Primärprophylaxe nicht möglich. Es gibt jedoch einige generelle Empfehlungen, die möglicherweise das Risiko der Erkrankung reduzieren können:
- Impfungen gegen Krankheiten wie Masern, Mumps, Röteln und Meningitis
- Vermeidung von Infektionen mit Herpesviren, Borrelien, Mykobakterien und Treponema pallidum
- Schutz vor Augenverletzungen
- Gesunder Lebensstil zur Stärkung des Immunsystems
Autor:
Dr. Christian Kretschmer (Arzt)
Stand:
19.05.2023
Quelle:
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